Die Jungfrau Maria und die zölibatären Männer

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Die Jungfrau Maria und die zölibatären Männer

Der Engel und die Jungfrau, das ist ein Bild für Dichter und für Maler. Ein Dichter hat es geschrieben, und Maler haben es in immer neuer Weise gemalt. Der Bote des Göttlichen und die jungfräulich dem konkreten menschlichen Dasein noch Ferne, auf der Schwelle

zwischen Kindheit und Frausein eingefaßt noch von einem Raum der Erwartung und Hoffnung und der bereiten Träume: Das Bild kumuliert zu einem Zauber der menschlichen und religiösen Phantasie, wie er die Menschen schon immer faszinierte. Aus ähnlicher Phantasie heraus haben die alten astrologischen Religionen die Jungfrau als Sternbild an den Himmel gesetzt als himmliche Wirkerin der Fruchtbarkeit haben die Ägypter Isis zu den Sternen erhoben, die Griechen Dike als die Astraia, die Sternenjungfrau oder auch Demeter und Tyche. Aus solcher Phantasie heraus waren auch viele andere antike Göttinnen Jungfrauen; Artemis z. B. , die Göttin, die nicht nur keusche Jünglinge schützt, sondern auch die Herrin von Jugend, Hochzeit und Geburt ist. Athene war eine Jungfrau, eine mutterlose Göttin, die ebenso wie die jungfräuliche Nike dem Kopf des Zeus entstieg. Und Nemesis und die schon erwähnte Dike sind als Jungfrauen die unnahbaren und unabhängigen Göttinnen des Rechts. Viele ließen sich noch nennen. Bei ihnen allen war die Vorstellung von Göttin und Jungfrau zugleich der zweifache Klang und Ausdruck der einen alten aus menschlichen Träumen geborenen Sehnsucht nach un- und überirdischem Sein. So liegt es nahe, daß auch bei der Hoffnung auf Erlösung wieder Jungfrauen eine besondere Rolle spielen. Uralt ist die Vorstellung von Jungfrauen, die göttliche Kinder gebären. »Der Erlöserkönig erscheint überall als Jungfrauensohn« (Kittel, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, 5, 828, Anm. 21). »Der Mythos von der wunderbaren Geburt des Retterkindes ist in der Tat weltweit verbreitet«, schreibt Ratzinger und vermutet, daß »die verworrenen Hoffnungen der Menschheit auf die Jungfrau-Mutter« vom Neuen Testament aufgenommen wurden (Joseph Ratzinger, Einführung in das Christentum, München 1968, 2. Aufl., S. 224).

Der Engel und die Jungfrau. Hinter der ersten schönen und unschuldigen Welt dieses Bildes verbirgt sich eine zweite, gar nicht mehr so schöne und gar nicht mehr so unschuldige. Denn in allen religiösen und kultischen Bildern von der Jungfrau ist mehr enthalten als allgemeine Menschensehnsucht. Hinter ihnen verbergen sich Männerphantasien. Es liegt Aggressives darin, Urvorstellungen von Lust auf Eroberung, von Neuland, von herrischem Männer- und Götterbesitz. Es liegt Tod darin. Von Männern wurden Jungfrauen getötet als für den Einfluß auf die Götter besonders wirksame Opfer. Es liegen sexuelle Zwangsvorstellungen im Bilde der Jungfrau, zugleich mit viel Frauenverachtung verbunden, der lockende Reiz der Unberührten und die Verdammung und Vernichtung der nicht mehr Reinen, der Geschändeten. Jungfrauen sind nicht nur Männerträume, sie sind auch Männerbeute. Und die Lust der Männer auf solche Jagd ist nicht selten von dem Gott dieser Männer gesegnet. Das zeigt z. B. die Anordnung von Moses bezüglich der kriegsgefangenen Midianiter, wie sie Numeri 31, 17 f. berichtet wird. Moses war ein frommer Mann, der im Namen Gottes handelte. Der Priester Eleasar war bei ihm, als Moses befahl: »So tötet nun von den Kindern alle Knaben und von den Frauen jene, die schon mit einem Mann verkehrt haben. Aber alle Kinder weiblichen Geschlechts, die noch mit keinem Mann verkehrt haben, lasset für euch am Leben.« Der Gott der Kindermörder und der Jungfrauenjäger ist offenbar ein Männergott. Er ist einer ihresgleichen. Und es ist kein Zufall, daß er sich im Bedarfsfall selbst einer Jungfrau bedient. Und so wird im schönen Bild des Engels und der Jungfrau der begehrliche, Gott unterschobene Männerblick deutlich: Auch Gott will eine Frau, die noch mit keinem Mann verkehrt hat.

Vor dem Hintergrund der mit dem Begriff »Jungfrau« verbundenen alten Traum- und Primitivvorstellungen ist die neutestamentliche Schilderung einer Jungfrauengeburt Jesu aus Maria zwar immer noch in einer rechten Weise verstehbar, aber es war für die Deuter immer schwer, dabei nicht in alte männliche Assoziationen und Denkschemata zu verfallen. Dieser Gefahr ist man theologisch und kirchlich auf breiter Front erlegen. So kommt es, daß von allen christlichen die Vorstellung von der jungfräulichen Empfängnis und Geburt Jesu die, wenn nicht mißverständlichste, so doch mißverstandenste ist. Sie wurde nahezu unmittelbar nach ihrem Entstehen falsch verstanden.

Der eigentliche Inhalt der Glaubensvorstellung von der Jungfrauengeburt ist ein sehr einfacher. Zum rechten Verständnis müssen wir uns allerdings von dem Gedanken lösen, daß Gott einer wäre, der sich männergleich unter den Frauen eine Jungfrau erwählt hätte, der zu irgendeiner Tat einer Jungfrau bedurft hätte oder der gar das Problem gehabt haben könnte, die von ihm Erwählte nicht mit einem Mann teilen zu wollen. Ein Gott, der so gedacht oder gehandelt hätte, wäre ein Mann- und Männergott gewesen. Ursache und Wirkung sind bei solcher Anschauung verwechselt: Die Jungfraulichkeit Marias war nicht die Voraussetzung für Gottes Handeln, sie war nicht das Fundament, auf das Gott seinen neuen Anfang der Zeit gebaut hätte, sondern sie war die Folge seines Handelns und der erste Buchstabe der Geschichte, die er ohne jede menschliche Voraussetzung zu schreiben begann. Vor Gottes Handeln ist alles Land Neuland und die Chronik eines jeden Menschen eine jungfräuliche Chronik. Es sollte auf der Hand liegen, daß bei dem theologischen Begriff von Jungfrauengeburt nicht von Biologie die Rede ist und sein kann. Hier ist von Größerem die Rede als von menschlicher leiblicher Verfaßtheit. Davon handelt die Geschichte von der Jungfrauengeburt nicht, nicht von eines Menschen Ehe oder Ehelosigkeit, nicht von eines Menschen Enthaltsamkeit. Sie handelt von keines Menschen Tun, sondern ausschließlich von der Tat Gottes des Schöpfers, der aus dem Nichts einen neuen Beginn der Geschichte Setzt. Dafür bedarf es keiner Jungfrau. »Geboren aus einer Frau«, sagt Paulus Gal 4,4, und damit hat er die ganze Wahrheit gesagt, die durch nichts dekoriert oder ergänzt werden muß, die vielmehr durch jede Ergänzung verfälscht würde. Jungfrauen sind Trophäen, mit denen sich Männer gern schmücken. Gott, dem Männer einen ebensolchen Schmuck andienen wollten und wollen, bedarf solcher Trophäen nicht.

Die Theologenmänner haben den Begriff der Jungfrau biologisch gesehen und verstanden, und sie haben damit Gott mit ihrer Elle gemessen. Sie ahnten freilich, daß der oben am Beispiel des Moses gezeigte männliche Umgang mit Jungfrauen, der diese im besten Fall zu einer Art Wegwerfjungfrauen, im schlimmeren Fall zu ihren Mordopfern machte, nicht der gottgemäße Umgang mit einer Jungfrau sein könnte, zumal es sich hier um die Mutter seines Sohnes handelte. Deswegen haben sie Gott eine trotz Empfängnis und Geburt und weiterer Ehe jungfräulich Bleibende zugedacht. Sie mußte Jungfrau bleiben, damit sie nicht Gottes männerüblicher Verachtung anheimfiel. Ihr eigener Sohn hätte sie, wäre sie nicht Jungfrau geblieben, verschmäht. Nach Papst Siricius im 4. Jh. hätte Jesus Maria nicht als Mutter akzeptiert, wenn sie außer ihm später noch weitere Kinder geboren hätte: »Jesus hätte nicht die Geburt aus einer Jungfrau gewählt, wenn er sie als so wenig enthaltsam hätte betrachten müssen, daß sie jene Geburtsstätte des Leibes des Herrn, jene Halle des ewigen Königs, durch menschliche Begattung entweihte. Wer das behauptet, behauptet nichts anderes als den Unglauben der Juden.« Und mit dieser Behauptung legt Siricius laut Michael Schmaus (Katholische Dogmatik, 5. Bd., Mariologie, München 1955, S. 109) »ein Zeugnis für die einstimmige Lehre der Kirche« ab. Falsche Auffassung des Bildes der Jungfrauengeburt und Sexual- wie Frauenfeindlichkeit begegnen uns hier wie schon vorher und wie immer auch später in der Geschichte in einem kaum zu entwirrenden Knäuel theologischen Unsinns. Es ist bezeichnenderweise derselbe Papst Siricius, der mit seinem Haß gegen die damals noch weit verbreiteten Priesterehen das bis heute andauernde zölibatäre Zeitalter entscheidend mitbestimmte und mit seiner Sexualneurose bleibend infizierte.

So bildet sich durch solche Männersicht schon früh eines der vielen Mißverständnisse, die man die mariologischen Mißverständnisse nennen kann. Es ist eine Fehldeutung, die Jungfrauengeburt als ein biologisches marianisches Ereignis zu sehen, noch dazu als eines mit Fortsetzungen, so als ob einer für Gottes Tat erforderlichen leiblichen Jungfräulichkeit vor der Geburt eine Jungfräulichkeit in der Geburt und schließlich noch nach der Geburt folgen müßte. Jungfrauengeburt meint nicht die Geschichte einer privaten Keuschheit. Solche fromme Ausmalerei hat den Kern der gemeinten Wahrheit, nämlich das Bild vom souveränen Heilshandeln Gottes verlassen. Dieses Handeln Gottes richtet sich nicht nach einer individuellen Geschichte eines Menschen und ist von ihr gänzlich unabhängig. Aus einer falschen Sicht hat man schließlich den Sinn und den Inhalt der christlichen Lehre weithin auf den Kopf gestellt. Wetzers und Weltes Kirchenlexikon von 1893 lehrt uns die Summe einer theologisch verkehrten Welt: »Der ganze Schwerpunkt des Christenglaubens ruht auf der Thatsache, daß Maria als Jungfrau empfangen und geboren hat, durch Einwirkung des heiligen Geistes befruchtet. Alles, was weiter von der Entsündigung und Befreiung unseres Geschlechtes durch das Blut Jesu Christi. »als des unbefleckten Lammes« gelehrt und geglaubt wird, stützt sich auf dieses Factum« (Bd. 8, S. 719f.).

Neben dem mariologischen begegnet uns ebenfalls früh das christologische Mißverständnis, die Gottessohnschaft beruhe auf der Jungfrauengeburt oder sei irgendwie damit verknüpft. Man sah in der Jungfrauengeburt so etwas wie die Voraussetzung und Bedingung der Gottessohnschaft. Theologisch aber ist solcher Zusammenhang falsch. Gottes Handeln ist auch hier von menschlichem Handeln und Sein unabhängig. »Die Gottessohnschaft Jesu beruht nach dem kirchlichen Glauben nicht darauf, daß Jesus keinen menschlichen Vater hatte; die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre. Denn die Gottessohnschaft, von der der Glaube spricht, ist kein biologisches, sondern ein ontologisches Faktum; kein Vorgang in der Zeit, sondern in Gottes Ewigkeit: Gott ist immer Vater, Sohn und Geist; die Empfängnis Jesu bedeutet nicht, daß ein neuer Gott-Sohn entsteht, sondern daß Gott als Sohn in dem Menschen Jesus das Geschöpf Mensch an sich zieht, so daß er selber Mensch »ist« (J. Ratzinger a. a. O. S. 225). Die für die Theologen bis auf wenige Ausnahmen selbstverständliche Erkenntnis, daß die Gottessohnschaft Christi nicht von der Tatsache einer Jungfrauengeburt abhängig gemacht werden kann, ist beim sogenannten gläubigen Volk so gut wie ganz und in der Hierarchie noch weithin unbekannt. Solche Abhängigkeitsvorstellungen finden sich z. B. bei Kardinal Höffner, der behauptet, wenn Jesus einen menschlichen Vater gehabt hätte, dann wäre er nicht »wahrer Mensch und wahrer Mensch zugleich« (Ruhrwort 4. 7. 87, S. 11). Dabei hätte ein nur kurzer Blick in eine Dogmatik genügt, um zu erkennen, daß seine Befürchtung unbegründet ist.

Die theologische (nicht biologische) Vorstellung von der Jungfrauengeburt meint also einen neuen Horizont der Geschichte. Das Bild von der Jungfrauengeburt ist ein großes Bild, und als Zeichen für Gottes Heilshandeln, als Versuch einer bildhaften Annäherung an das Geheimnis der Erlösung hat es seinen bleibenden Wert. Man hätte es so bleiben lassen sollen wie es war, aber man (Mann) wollte mehr daraus machen und hat es mit eigenen Bildern übermalt und so zu einer Karikatur seiner selbst werden lassen. Schon früh ist es zu Vorstellungen gekommen, daß es bei der Jungfrauengeburt nicht ausschließlich um die Heilstat Gottes als solche, sondern um so etwas wie Gottes Suche und Gottes Finden einer moralisch möglichst reinen Methode gegangen wäre, sein Heilswerk in die Tat umsetzen zu können. Es war nicht so sehr ein göttlicher als vielmehr ein männlicher Gedanke, hier die Wahl auf eine Jungfrau fallen zu lassen, wenngleich in diesem Fall notwendigerweise auf eine verheiratete. Nur aus der vom Mann diktierten Anschauung einer Frauenschande (nicht so sehr Männerschande) bei einer unehelichen Geburt, aus einer Vorstellung, die Frauen dann gehorsam übernommen haben, hat man Josef zwar nicht als Ehemann im allgemeinen Sinne, aber doch als Schützer und Beschirmer der Jungfrau konstituiert. Er hat mit seinem guten Namen das in den Augen der Welt suspekte Handeln Gottes nach außen, wenngleich mit einem Etikettenschwindel, legitimiert. Ohne solchen männlich-ritterlichen Flankenschutz, ohne solches himmlisch-menschliche Schweigekomplott wäre in Männeraugen die ganze Erlösung möglicherweise gescheitert. Darum gilt es bei Männern als richtig, daß Josef Jesus als seinen Sohn ausgab, daß Maria Jesus als Sohn Josefs ausgab und Jesus sich selber als Sohn Josefs verstehen ließ. Es war ja alles eine Täuschungsgeschichte zu einem guten Zweck, ging es doch um das um der Ehre der Jungfrau willen notwendige Verleugnen ihrer Empfängnis vom Hl. Geist. »Und mit gutem Grunde«, sagt der heilige Ambrosius († 397), »stellte die Schrift beides fest, daß sie Verlobte und Jungfrau war: Jungfrau, damit sie unberührt vom Umgang mit einem Manne erschiene; Verlobte, damit sie nicht wegen Verletzung der Jungfräulichkeit in Verruf käme und gebrandmarkt würde, wenn der schwangere Leib ihr offen das Schandmal der Entehrung aufzudrücken schiene. Lieber aber wollte der Herr Zweifel über seine eigene Herkunft als über die Keuschheit seiner Mutter zulassen… und glaubte nicht die Glaubwürdigkeit seiner Herkunft auf die Gefahr ungerechter Verdächtigungen seiner Mutter sichern zu sollen« (Lukas-Kommentar II, 1). Übrigens zeigt derselbe Ambrosius an eben derselben Stelle, wie wenig sich die Männermariologen scheuten, die Frauen mit ihrem Marienbild zu domestizieren und auf ein devotes Bewußtsein von Männerwürde abzurichten: »Es ist Jungfrauenart, zu erzittern und bei jedem Eintritte eines Mannes zu erbeben, vor der Anrede durch einen Mann zu erröten. Möchten die Frauen das Ideal der Keuschheit, das sie vor Augen haben, nachahmen lernen« (Lukas-Kommentar II, 8). Hier wird erahnbar, wie groß in Männeraugen die Schande einer Frau ist, die Mutter ohne Mann ist. Das Bewußtsein für solche Schande wird auch bei Maria vorausgesetzt. Von daher kommt es dann zu solchen Deutungen der Engelerscheinung, wie wir sie beim heiligen Johannes Chrysostomus († 407) lesen: »Wenn ihr nämlich der Sachverhalt nicht ganz klargewesen wäre, so hätte man fürchten müssen, sie würde sich mit Selbstmordgedanken tragen, würde zum Strick oder zum Schwert greifen, wenn sie die Schmach nicht hätte zu ertragen vermocht« (Matthäus-Kommentar, Homilie 4,5).

Es ist erfreulich, in den Evangelien aus dieser konstruierten Welt in die reale zurückkehren zu können und dort frischeren Wind zum Atmen zu finden. »Nirgendwo hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und seiner Familie«, sagt Jesus (Mk 6,4). An anderer Stelle heißt es: »Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen. Sie sagten: »Er ist verrückt« (Mk 3,21). »Für Markus steht fest, daß Jesu Familie – und seine Mutter bildet darin keine Ausnahme – zumindest zur Zeit der Mission Jesu eher seinen Gegnern zuzurechnen sei« (Robert Mahoney in: Die Frau im Urchristentum, 1983, S. 97). Daran ändert auch nichts der Umstand, daß sich Jesu Mutter später dem Jünger- und Jüngerinnen-Kreis ihres Sohns anschloß.

Nachdem die Frau, die Gott sich erwählt hat, durch die zölibatären Manner dadurch geehrt worden war, daß sie sie als immerwährende Jungfrau definierten, nachdem also der Herr-Gott gemäß ihrer Lehre sich unter allen Frauen eine reine Jungfrau erwählt und sie, obwohl es sich um eine nach außen zu verbergende Tatsache handelte, durch diese Jungfrauenwahl so hoch geehrt hatte, wollten die Männertheologen Maria auf ihre Weise noch weiter ehren. Sie haben sie mit allen Männerkråften auf die Altäre ihres Denkens erhoben. Das höchste, was ein Mann an Ehre denken kann, außer der Frauenehre um der Männerehre willen, das ist all das, was dem Manne eignet: die Virtus, d. h. die Mannhaftigkeit, das Heldentum, das kriegerische nämlich. Allenfalls der Heldentod wiegt an Ehre noch schwerer, aber der hätte in diesem Fall nicht gepaßt. Und so hat man die Mutter Jesu, ohne daß ein engerer Zusammenhang ersichtlich gewesen wäre, neben schon früher in der Männerphantasie entstandene Heldinnen gestellt und sie mit denselben Lobsprüchen bedacht, mit denen man die früheren Heroinnen lobte und pries. Dieser schöne Brauch hat sich bis heute erhalten. Im Graduale des Festes »Maria Empfängnis« heißt es: »Du bist der Ruhm Jerusalems, du die Freude Israels, du die Ehre unseres Volkes.« Diese Seligpreisung für Maria war ursprünglich an Judith gerichtet, nachdem diese dem betrunkenen und schlafenden Holofernes den Kopf eigenhändig abgeschlagen hatte (Jud. 15,9). Im selben Graduale wird eine zweite Kopfabschlägerinnen-Seligpreisung, die Judith galt, auf Maria angewendet: »Gepriesen bist du bei dem höchsten Gott vor allen Frauen der Erde«. Dieser Lobpreis erging in dem Augenblick, als Judith den abgeschlagenen Kopf des Holofernes dem Volke zeigte (Jud. 13,18). In der katholischen Mariologie und »Liturgie werden vor allem Judith und Esther als Bilder Marias verstanden« (Schmaus, Mariologie 1955, S. 163). Das »Marienbild«.Esther leistete vergleichsweise noch Größeres als Judith, indem sie nämlich dafür sorgte, daß 75810 Männer »samt Kindern und Frauen« (Esth. 1) getötet wurden. Esther: »Die zehn Söhne Hamans möge man an den Galgen hängen«. (Esth. 9,13). Als »Bild der unbefleckt Empfangenen« (Schmaus S. 164) hat diese Massenvernichterin in der Liturgie des Festes der Erscheinung von Lourdes ihren heiligen Ort. Es gibt noch mehr Vorbilder Marias in der bisherigen Mariologie, Debora z. B., die bei der Ausrottung der Kananäer erfolgreich war (Ri 4,4 – 5,31), und Jael, die dem feindlichen Feldherrn Sisera, als dieser sich bei ihr ausruhte, mit einem Hammer einen Holzpflock durch die Schläfe schlug (Ri 4,21). Alle vier, Judith, Esther, Debora und Jael, sind laut dem Mariologen Alois Müller »in solchen Taten symbolische Vorgestaltungen von Marias Erlösermutterschaft« und »typologische Vorgestaltungen für die Erwählung Marias« (Mysterium salutis, III, 2, 1969, S. 397). Weil Maria solchen Frauentypen mariologisch nachgestaltet ist, erstaunt es nicht, daß auch sie selbst im Laufe der christlichen Geschichte militärisch aktiv wurde. Wobei sie manchmal sogar gegen sich selbst kämpfte, so im 13. Jahrhundert als Madonna der Kreuzritter von Marienburg gegen die Maria von Nowgorod. Sie kämpfte gegen Heiden, Türken und Protestanten. Auch die Kevelaer-Jungfrau wurde im Dreißigjährigen Krieg mit tatkräftiger Unterstützung des spanischen Statthalters in Brüssel (Kevelaer gehörte damals zu den spanischen Niederlanden) als Bollwerk gegen die Protestanten stationiert. Nicht zuletzt hatten die Juden unter ihrer Jungfrauengeburt zu leiden, wenn sie an solche nicht glauben mochten. Kein Laie, so bestimmte der Heilige König Ludwig IX. von Frankreich (1214 – 1270), solle mit Juden über die Jungfrauengeburt streiten, sondern er solle, wenn einer den christlichen Glauben verleumde, den Juden das Schwert in den Leib stoßen, »so tief es hineingehe«. so berichtet sein Freund und Biograph Jean Sir de Joinville.

In diesem Jahrhundert war Maria im Falklandkrieg engagiert und zog blau und weiß gekleidet den argentinischen Soldaten voran, wie der argentinische Episkopat verkündete. Im spanischen Bürgerkrieg hat Franco sie zum Generalissimus seiner Armee ernannt, und im Einsatz in der psychologischen Kriegsführung gegen die Kommunisten hat sie 1917 in Fatima zum Kampf gegen dieselben aufgerufen. Die Panzer Hitlers erfüllen die Fatimaweissagung hinsichtlich der Bekehrung Rußlands, berichtet Friedrich Heer über die Auffassung der Berater Pius XII. Marianischer Antikommunismus auch in Vietnam: 1954 war Nordvietnam kommunistisch geworden, und die Jungfrau Maria war in den Süden nach Saigon geflüchtet. Als ich im Krieg 1972 den Erzbischof von Hanoi besuchte, erfuhr ich, daß es seinem Vorgänger nicht gelungen war, zu verhindern, daß 600 000 Katholiken und 75 % des Klerus in den Süden zogen, weil dort laut amerikanischer Propaganda die hl. Jungfrau nach ihren Kindern im Norden weinte, die, wenn sie ihr nicht nachfolgten, die Hölle auf Erden und das ewige Feuer im Jenseits erleiden würden: Die Beispiele marianischen Kriegseinsatzes ließen sich beträchtlich vermehren. Maria hat die Züge einer christlichen Kriegsgöttin angenommen.

Kehren wir zurück zu den Maria von den Theologen zugedachten Ehren und Ehrungen. Daß sie als Frau im Verhältnis zu Gott den Männern ebenbürtig sein könnte, daß sie vor Gott die gleiche Würde haben könnte wie ein Mann, dieser Gedanke war für die Mariologen bei aller Liebe zu Maria selbst unvollziehbar. Trefflich macht das der große Josef Scheeben deutlich, der in seiner Dogmatik die Summe des bis dahin angesammelten theologischen Tiefsinns der Mariologen über die Frau zusammenfaßt. »Im Gegensatz zur väterlichen Zeugung ist die mütterliche wesentlich nur Mitwirkung mit einem anderen Prinzip, welches eigentlich über die Existenz des Produktes entscheidet“ (Dogmatik II, 1878, S. 920). Und weil »die väterliche Zeugung… weit mehr ein Abbild der ewigen Zeugung als die mütterliche« ist (S. 921), würde eben darum ein leiblicher Vater als »Concurrenz mit der ewigen Zeugung bezüglich desselben Produktes die letztere eher in den Schatten stellen als verherrlichen, indem dadurch Gottvater nicht mehr der einzige Vater seines Sohnes wäre… Um so leichter und naturgemäßer aber kann mit der göttlichen väterlichen Zeugung eine menschliche mütterliche Zeugung sich verbinden, da dieselbe sich der ersteren naturgemäß unterordnet« (S. 921). Die weibliche Zeugung macht also keine Probleme. Muttersein ist nämlich weniger als Vatersein, darum keine Konkurrenz für Gottes Vaterschaft. Denn die Mutter verhält sich »auch gegenüber der Person, deren Mutter sie wird oder ist, nur dienend… indem sie… nicht direkt zu deren Existenz als Person, sondern bloß zur materiellen Seite ihres Wesens oder ihrer Substanz beiträg« (S. 920). Darum kann im Gegensatz zur väterlichen Zeugung »die mütterliche Zeugung ohne alle Schwierigkeiten auf eine Person bezogen werden … welche an sich selbst bereits vor jener Zeugung existiert und durch dieselbe nur ein zweites, leibliches Dasein empfangt« (S. 920). Kurz charakterisiert, sagt die traditionelle Mariologie, wie sie Scheeben zusammenfaßt, bezüglich der Jungfrauengeburt dieses: Der Mann ist ein Herr. Und Gott ist auch ein Herr. Die Frau ist kein Herr. Sie ist aller Herren Dienerin und Magd. Ein Herr und eine Magd, das paßt zueinander, eine Magd und zwei Herren, das ergäbe Kollisionen.

Die modernere Theologie hat sich von den traditionellen Theorien noch immer nicht sehr weit entfernt. Michael Schmaus erklärt zwar einerseits die Lehre, ein menschlicher Vater hätte der Ehre Gottes Konkurrenz gemacht, zur gnostischen Irrlehre zur heidnischen Mythologie, und nennt damit die traditionellen, auch heute noch weitverbreiteten Meinungen in der Mariologie mit ihrem wahren Namen (S. 137f.), andererseits begründet er den Sinn und die Angemessenheit der Jungfrauengeburt mit einer anderen männlichen Überlegung: »Die Erlösung ist nicht männlichem Tatwillen zu verdanken« (S. 138f.), als ob, wenn Jesus einen natürlichen Vater hat, die Erlösung dann männlichem Tatwillen zu verdanken wäre. Der alte Gedanke wird so wieder neu lebendig. Nach der alten, nahezu gottebenbürtigen Männerherrlichkeit zeigt sich eine neue. Von weiblichem Tatwillen ist folgerichtig nicht die Rede. Er hat, wenn es denn einen solchen gibt, immer eine mindere Qualität. Man sieht, die durch den deutschen hl. Albertus Magnus († 1280) in die Theologie eingeführte aristotelische frauenfeindliche Biologie, die die Frau nur als eine Art passiven Blumentopf sieht, in den der Mann seinen die Zeugung eigentlich und vorrangig bewirkenden Samen hineinsteckt, ist auch nach der Entdeckung des weiblichen Eis (1827) von den Männer-Theologen fast unbeschädigt und unversehrt ins 20. Jahrhundert hineingerettet worden. Gott ist jedoch, wie der leider so plötzlich verstorbene Papst Johannes Paul l. richtig erklärt hat, nicht nur Vater, sondern auch Mutter. Aber der Gedanke einer Mutterkonkurrenz zu Gott ist noch keinem Theologen in den Kopf gekommen. Gemäß der Mariologie ist es ja vollends evident, daß Gott ein Mann ist. Er wirkte in Maria das, was sonst die Männer tun. »Was sonst durch das männliche Tun geleistet wird, wirkte in Maria die Allmacht Gottes« (Schmaus, Mariologie 1955, S. 107). Aha.

So wenig Maria als Frau den Männern ebenbürtig ist, so sehr ist sie als Mutter den anderen Müttern überlegen. Hier entfaltet die männliche Mariologie ungehemmt ihren vollen, überschwenglichen  Reichtum an zölibatärer Verehrung für die eine Reine im Gegenüber und Gegensatz zu den sämtlichen übrigen Unreinen. Hier bedeutete jedes nur erdenkliche Maß an Heiligkeit im Vergleich zur sonstigen Weiblichkeit ja keine Einbuße an Männerwürde und -ehre. Neben der generellen (auch Marias) Minderwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann gibt es in der Mariologie eine spezielle Minderwertigkeit der gewöhnlichen Frauen gegenüber Maria. Diese Diffamierung hat aber, da Maria lediglich eine Ausnahme bildet, einen allgemeinen Charakter. Als Beispiel sei das Dogma von der Jungfräulichkeit in der Geburt genannt, wesentlich Ähnliches gilt aber auch für die Jungfräulichkeit vor und nach der Geburt. Die traditionelle Lehre von der Jungfräulichkeit in der Geburt besagt, daß 1. das Hymen Marias unbeschädigt blieb, daß 2. die Geburt schmerzfrei war und  daß 3. keine Nachgeburt (Sordes = Unflat) vorhanden war. Maria soll Jesus wie einen Lichtstrahl, schon von seiner Auferstehung her verklärt, wie den brennenden Dornbusch, der nicht verbrennt, oder wie ein Gedanke entsteht, geboren haben oder so, »wie überhaupt die Geister ohne Widerstand durch die Körper hindurchgehen« (Scheeben 11, S. 939). Mag die Frage, ob Christus, wenn er als eine Art Lichtstrahl oder »wie überhaupt die Geister«. geboren wurde, dennoch Mensch geworden ist, hier dahingestellt bleiben, mariologisch darf die Würde der Gottesmutter nicht dadurch gesichert werden, daß man die übrigen Mütter als durch die Zerreißung des Hymens »beschädigt« hinstellt. Bei A. Müller ist die Versehrung der Mütter beim Gebären ein besonderes »Zeichen des erbsündlichen Fluches« (l. c. S. 464f.), und damit sind wir beim Fluch, der für die Mariologen auf Müttern und Mutterschaft lastet. Schmerzfrei war nur die Geburt Marias, während alle anderen Mütter Gottes Fluch (Gn. 3) zu spüren bekommen: »Mit Schmerzen sollst du Kinder gebären.«.»Nach der Ursünde traf Eva diese schmerzhafte Verfluchung ihrer Mutterschaft« (S. 463), und seitdem sind alle Mütter außer einer verflucht. In ihren Schmerzen sind sie verflucht. Siebenmal auf einer einzigen Seite (464) spricht A. Müller das Wort »Fluch« in bezug auf die Mutterschaft aus, aber je öfter manche Mariologen die Mütter verflucht sein lassen, um so stärker drängt sich der Verdacht auf, daß es sich wohl schon im Alten Testament nicht um einen Fluch Gottes, sondern eher um einen Fluch in den Augen der Männer handelt, einen Fluch, der dann durch zölibatäre Theologen zu seiner vollen Entfaltung kommen sollte: schmerzfrei war die Geburt Marias nämlich auch noch aus einem anderen Grund, den Augustinus († 430), der Vater unserer lustfeindlichen Sexualmoral, beigesteuert hat: »Ohne Fleischeslust hat sie empfangen und darum ohne Schmerzen geboren.« Die Theologen werden nicht müde, das auch in unserem Jahrhundert zu behaupten. Im Vergleich zu Maria also ist jede andere Mutter beschädigt, mit Schmerzen bestraft und verflucht und schließlich beschmutzt. Nur von Maria gilt: »Sie hat ein Kind geboren und blieb doch reine Magd«, wie wir alle Weihnachten singen in dem Lied: »Es ist ein Ros entsprungen«.

Die eine reine Mutter und die andern unreinen. Die Theologen haben ihren theologischen Unrat auf die Mütter abgeladen und mit frommem Eifer geglaubt, dadurch die Mutter Jesu um so makelloser zu malen. Aber indem sie alle anderen im Gegensatz zur immerwährenden Jungfrau so immerwährend verfluchten, ist ihnen der Blick auf die Frau insgesamt verengt, ist ihnen der Begriff von Frausein insgesamt vergangen, falls sie einen solchen Begriff überhaupt je gehabt haben. Indem man Maria so sehr von den anderen Frauen, die Kinder geboren haben, ausgrenzte, hat man sie zu einer Art Unfrau gemacht. Nach Mariologenart mag man ihr gegeben haben, an Frauen- und damit Menschenart hat man ihr Entscheidendes genommen. Wer eine biologische Jungfräulichkeit in der Geburt behauptet, als eine Lichtstrahl- oder Gedanken- oder Geistergeburt, der muß wissen, daß er die Mutter, von der er redet, um ihre Mutterschaft bestiehlt. Es mag sein, daß es manche Menschen nach dem Bild einer Himmelskönigin verlangt, aber mehr Menschen verlangt es nach einem Menschen. Und alle die, die in einem theologisch weniger mirakulösen und darum wahrhaftigeren Bild Marias dem Bild eines wirklichen Menschen hätten begegnen können, hat man mit der Lehre von einem unverständlichen und darum existentiell bedeutungslosen Naturwunder um diese Begegnung betrogen. Mit solchem humanen Defizit in der Mariologie wird der Glaubensvollzug des Christen, sofern ihm Maria konkretes Vorbild im Glauben sein soll, unmöglich gemacht. Wie soll eine Frau sich in Maria wiedererkennen, wenn in der Lauretanischen Litanei Maria als die »Mater inviolatae«, »o unversehrte Mutter« besungen wird. Dabei ist »versehrt« eine sehr beschädigte Übersetzung. Laut lateinischem Lexikon sind alle anderen Mütter als matres violatae das, was das Wort »violatae« bedeutet. Das heißt, sie sind solche, denen Gewalt angetan ist, die mißhandelt, besudelt, befleckt, verletzt, geschändet und entweiht sind. Violatae kommt nämlich nicht von Viola, Veilchen, sondern von vis, Gewalt, allenfalls von Veilchenauge. Maria ist also gemäß lauretanischem Mütterbeschädigungswerk im Unterschied zu allen anderen Müttern die Madonna ohne Veilchenauge. Und alle Väter wären bei frommem Licht besehen Schläger und Vergewaltiger. Auch Papst J. P. II. spricht in seiner Marienenzyklika 1987 von Maria als der Mutter, die ihre Jungfräulichkeit »unversehrt« bewahrte.

Wie Maria ihren Sohn nicht nach Frauenart geboren hat, so hat sie ihn nach der Mariologen Meinung auch nicht nach Frauenart verloren. Eine Mutter, die die Hinrichtung ihres Sohnes miterleben muß, das ist eine Szene, deren Schmerzhaftigkeit nicht ausgemalt zu werden braucht. Im »Kirchenlexikon« von 1893 stellt sich die schlimme Szene anders dar: »In dieses Opfer willigte auch sie ein und leistete damit von seiten der Menschheit den freien Antheil, der von derselben erwartet werden konnte« (Wetzer und Welte 8, S. 723). Weiter heißt es: »Mit noch viel heldenmüthigerer Ergebung stand sie unter dem Kreuz ihres Sohnes, um von seiten der Menschheit das Opfer wirklich hinzugeben.« Welchen freien Anteil der Menschheit an Einwilligung zu der Hinrichtung ihres Sohnes Maria angeblich auch geleistet haben soll, meiner war jedenfalls nicht dabei. Die Vorstellung von der Einwilligung Marias zur Kreuzigung ihres Sohnes findet sich auch in der neuesten Marienenzyklika des Papstes J. P. II. 1987. Dem Papst zufolge hat Maria der Hinrichtung »in mütterlichem Geist… liebevoll zugestimmt«. Dieser Satz scheint dem Papst so gut zu gefallen, daß er ihn aus dem 2. Vat. Konzil übernimmt (lumen gentium, c. 58) und diese Haltung Marias unter dem Kreuz als »heroisch« bezeichnet. Man sieht, die Kirchenmänner haben keine Ahnung von mütterlichem Geist.

Und so setzte ich denn meine mariologische Sicht dagegen: Maria hat sich mit allem, was sie fühlte und dachte, gegen die Tötung ihres Sohnes aufgelehnt. Sie hätte, wenn sie es vermocht hatte, diese Hinrichtung zu verhindern gesucht. Sie hat nicht eine Art soteriologischer Nutzen-Kosten-Rechnung aufgemacht, sie hat keine Henkertheologie um unseres Heiles willen betrieben, wie sie weithin im Christentum verbreitet ist und das Christentum in Gefahr bringt, zu einem primitiven und abstrusen Menschenopferkult zu verkommen. (Zwischenfrage: Wenn es schon bei den Römern keine Todesstrafe mehr gegeben hätte, wie heute z. B. in der Bundesrepublik, wäre dann die Erlösung der Menschheit an der Humanität der Menschen gescheitert?) Maria hat weder dieser Hinrichtung zugestimmt noch irgendeiner anderen Hinrichtung, nicht dieser Tötung noch irgendeiner anderen Tötung. Was der Papst an Zustimmung zur Hinrichtung Jesu offenbar zu leisten bereit ist, mit einem verdrehten Marienbild im Kopf, das muß er schon selber leisten. In Wirklichkeit lehrt Maria uns, daß wir uns eben nicht und niemals, auch nicht aus einem noch so frommen Anlaß auf die Seite der Henker stellen dürfen. Der Schmerz einer Mutter, nicht einer Mariologenmutter, sondern einer wahren Mutter, lehrt die alte einfache Wahrheit des Du-sollst-nicht-Töten. Und so ist die wahre Madonna eine andere als die CIA-Propaganda-Jungfrau oder die Falkland-Madonna, die heroisch andere Mütter dazu bringen sollte, dem Tod ihrer Söhne heroisch ebenfalls zuzustimmen. Sie ist die, die will, daß wir nicht nur das ungeborene, sondern auch das geborene Leben schützen. Sie ist nicht die, die ihre Jungfräulichkeit in der Geburt hätte bewahrt haben müssen, weil solche Verletzung eine Verfluchung bedeutet. Sie ist vielmehr die Verletzliche und die Verletzte und die mit allen weinenden Müttern Weinende um allen Tod und alle Gewalttat in der Welt.

Die Mariologie hat in der katholischen Theologie lange genug auf dem Kopf gestanden, es ist an der Zeit, sie wieder auf die Füße zu stellen. Was sie aus ihrem rechten Stande brachte, ist der Umstand, daß sie schon früh eine Männermariologie geworden war, eine zölibatäre dazu, und daß so die üblichen männlichen Verkehrungen der Welt und ihrer Werte in ihr bestimmenden Raum gegriffen haben. Die traditionelle Mariologie verdient in nicht wenigen Punkten ihren Namen nicht, sie ist weithin eher eine Art Antimariologie geworden, indem sie zwar die Größe und Würde eines Menschen, einer Frau, hervorzuheben und theologisch wissenschaftlich auf Goldgrund malen zu wollen vorgibt, in Wirklichkeit aber mit groben und dummen Fingern das zerquetscht, was weibliche Würde im besonderen, bei dem Menschen Maria nämlich, und im allgemeinen, bei allen Frauen nämlich, ausmacht.

Es ist ein schlimmes Schicksal für eine Frau, ein von Männern korsettiertes und dogmatisiertes Frauenleben leben zu müssen.Maria hat es in einmaliger Weise getroffen. Ihr wurde von den Herren der Schöpfung das lebendige Leben lediglich so weit wie für ihr Funktionieren nötig zugeteilt, darüber hinaus wurde es ihr genommen. Über ihre Weisheit z. B. sagt Thomas von Aquin: »Es ist nicht daran zu zweifeln, daß die selige Jungfrau in hervorragender Weise das Geistgeschenk der Weisheit empfangen hat. Den Gebrauch der Weisheit hat sie gehabt in der Beschauung: nicht aber hat sie den Gebrauch der Weisheit gehabt in der Weise des Lehrens.« Die Herren wünschen, über sie zu lehren. Die Herren wünschen nicht, von ihr belehrt zu werden.

Im Grunde sind die zölibatären Männer trotz und vor allem wegen aller dogmatischen Ausgestaltung an Maria, dem Menschen und der realen Frau, immer vorbeigegangen. Sie haben ihre Rolle in der Heilsgeschichte auf zölibatäre Weise gesehen und sie in dieser Rolle mit mirakulösen und abstrusen Attributen bedacht. Dieses menschenfremde Bild haben sie in ihre männlich-karge Gedankenwelt gehängt. Bischof Hermann Volk hat einen solchen dünnen Männergedanken aufgeschrieben: »Maria ist nicht um ihrer selbst willen geehrt und im Evangelium genannt, vielmehr um ihrer Funktion und Beanspruchung willen in dem Heilsplan Gottes« (Gesammelte Schriften 1966, II, 78). Das wäre gewiß eine zölibatäre Sünde, eine Frau um ihrer selbst willen zu ehren. Wichtig und ehrenswert ist Maria lediglich als funktionierende Planerfüllerin. Die Theologen haben ihr den Titel Gottesgebärerin gegeben, und sie haben damit das äußerste geleistet, was sie an dogmatischer Würdigung zu leisten vermochten, aber sie haben nie begriffen, daß eine Frau auch etwas anderes ist als eine Gebärerin, und sei sie die Gebärerin Gottes, daß sie auch etwas eigenes ist, mit einer eigenen Würde nämlich, die von eben demselben Gotte stammt, dessen Sohn sie gebar, und die er ihr nicht erst als Gebärerin gab, sondern längst schon zuvor. Sie war eine Frau, die er liebte und ehrte um ihrer selbst willen.

Und wie sind schließlich nach alledem die beiden neutestamentlichen Berichte von der Jungfrauengeburt (Mt. 1 und Lk. 1) theologisch zu verstehen? Karl Rahner hat es gesagt: »Wir können durchaus diese Berichte, innerhalb deren die Jungfrauengeburt ausgesagt wird, als Midrasch, als ausmalende, aktualisierende Predigt, als Lehr- und Erbauungserzählung verstehen. Man könnte sagen: als eine Schöpfung der Theologie, die es innerhalb des Neuen Testamentes selbstverständlich schon gibt und die sich gewisse theologische Fragen stellt und beantwortet… Ein solches literarisches Genus schließt natürlich nicht notwendigerweise den Anspruch ein, daß alles so dramatisch inszeniert Gesagte im Sinne eines modernen Begriffs von Historie von vornherein rigoros historisch verstanden werden müsse« (Zum Thema Jungfrauengeburt, Stuttgart 1970, S. 124f.). Dem ist nichts hinzuzufügen und davon ist nichts wegzustreichen. Damit hat die Sache ihre theologische Ordnung.


Dies Thema wird auch erwähnt in einem Gespräch mit Uta Ranke-Heinemann aus 2013 unter dem Titel Im Vatikan kommst du als Frau nur mit dem Staubsauger nach oben; siehe hier.